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Mit Jesse Dufton unterwegs im Joshua Tree National Park

Nach seinem Gewinn der Bronzemedaille beim Paraclimbing World Cup in Los Angeles hat sich der britische Sportkletterer Jesse Dufton auf den Weg in den Joshua Tree National Park gemacht, um die atemberaubenden Felsen Kaliforniens zu erkunden.

Jesse Dufton ist ein britischer Kletterer, der gerne an die eigenen Grenzen geht. Obwohl er von Geburt an schwer sehbehindert ist, hat er sich zu einem erfolgreichen Kletterer entwickelt. Wer ihn nicht kennt, sollte sich seinen Film Climbing Blind ansehen, in dem er die Besteigung des Old Man of Hoy zeigt. Als blinder Kletterer erlebt Jesse die Routen und Landschaften, auf ganz andere Weise als die meisten Menschen. Ohne Augenlicht, verlässt er sich ganz auf das Gefühl für den Fels, den er besteigt. 

Nach seinem Sieg in L.A. wollte Jesse mit seiner Frau und Kletterkollegin Molly einige der schönsten Klettergebiete der Region kennenlernen, bevor er nach Großbritannien zurückkehrte. Lies hier, wie er den Joshua Tree National Park durch seine Fingerspitzen erlebt...

 

Die wilden Landschaften von Joshua Tree

Joshua Tree ist ein atemberaubender Ort, dessen Landschaft ganz anders ist als wie die Landschaften in Großbritannien. Molly war von den atemberaubenden Wüstenlandschaften überwältigt.  Die riesigen Granitblöcke und Felsengärten des von Joshua Tree liegen in der heißen Sonne. Auch ohne es selber sehen zu können, konnte ich erkennen, dass dies ein ganz besonderer Ort ist. mit unserem Stellplatz auf dem Hidden Valley Campground befanden wir uns im Herzen des Parks mit all seiner Kletterhistorie aus der Zeit von Jerry Moffat und anderen Kletter-Ikonen.

Nachdem wir einige der Klassiker nur wenige Meter von unserem Zelt entfernt geklettert waren, begann ich mich an das Gefühl des Joshua Tree-Granits zu gewöhnen. Die unberührten Felsabschnitte sind unglaublich rau und scharf und können schon bei der kleinsten Berührung blutig werden. Aber durch die vielen Kletterer, die die bekannten leichteren Routen begangen haben, ist der Fels schon etwas abgespeckt. Das Gleiche kann man von der Flora nicht behaupten, die mit messerscharfen Widerhaken und Stacheln übersät ist, die ich erst merkte, als ich über sie stolperte, und die sehr schmerzhaft waren.

 

Es lohnt sich jedoch, Kakteen und Co in Kauf zu nehmen, denn die Klettereien sind atemberaubend. Mit ihren komplexen Rissen, deren Breite leicht variiert mit einer Vielzahl komplexer Strukturen, war es für mich spannend, sie durch Tasten zu erkunden. Es war ein Geduldsspiel, den optimalen Platz für Hände, Füße und Ausrüstung zu finden. Ich stellte mir vor, wie vor Jahrmillionen der aus heißer Lava entstandene Granit abkühlt und splittert, um die Risse und die plattenartigen Schichten zu bilden, die diese unverwechselbare raue Oberfläche ergeben. Die komplizierten Strukturen zwangen mein Unterbewusstsein dazu, meine Bewegungsmuster anzupassen, um den Verlauf der Route zu entschlüsseln.

Im Laufe des Tages spürte ich, wie ich mich mit dem Gelände anfreunden konnte. Ich spürte die Hitze der Sonne, die sich dem Horizont näherte, und stellte mir vor, wie das orangefarbene Licht in den letzten Momenten vor der einbrechenden Dämmerung und dem damit verbundenen Temperaturabfall noch einmal über die Felsen flimmerte.

Im Park gibt es kein fließendes Wasser und der Kontrast zwischen der rauhen und abgelegenen Atmosphäre des Parks und der nur wenigen Stunden entfernten Konsumwelt von L.A. ging mir nicht aus dem Kopf, als wir Wasser aus den mitgebrachten Trinkblasen abfüllten und das Abendessen zubereiteten. Molly bewunderte den sternenübersäten Himmel und den großen Vollmond, der die durcheinandergewürfelten Felsen beleuchtete, während wir aßen, und ich genoss die Geräuschkulisse der unbekannten Insekten und das Rauschen des sanften Luftzugs zwischen den Felsen. Später, als ich in meinem Schlafsack lag, wurde ich vom Jaulen und Heulen eines Kojoten Rudels geweckt, das den zunehmenden Mond begrüßte, der sein Revier, diese einzigartige Ecke der westlichen Wildnis, beleuchtete. Ich sank zurück in meinen Schlafsack, schützte mich vor der kalten Nachtluft und bewunderte die besondere Atmosphäre dieses Ortes.

 

Über sich Hinauswachsen

Als ich früh aufstand, wählte ich eine Route, die noch im Schatten lag, aber später in der Sonne sein würde und daher zu heiß zum Klettern sein würde. Ich beeilte mich, diese 5.8er-Route zum Aufwärmen zu klettern, bevor die Sonne die Morgenkühle vertreiben würde. Die Route begann mit einem schwierigen Kamin, der so gar nicht mit dem Wettkampfklettern vergleichbar war. Nachdem ich die ersten 15 m überwunden hatte, kletterte ich in eine Route namens Flake und machte kurzen Prozess mit ihr. The Flake läuft vor dem Gipfel aus und ich dachte, ich hätte die Schlüsselstelle geschafft. Ich hatte mich geirrt.

Molly hatte vom Boden aus gesehen, dass es zwei Bohrhaken gibt, die die letzte Platte sichern. Ich fand den ersten ohne Probleme, klinkte ihn ein und stellte mich an den Anfang der Platte. Es gab keine Griffe. Aber die Oberfläche des Felsens war nicht völlig glatt, sondern hatte kleine schräge Vertiefungen und Erhebungen. Es war, als hätte jemand ein Blatt Seidenpapier genommen, es zu einem Knäuel zerknüllt und dann, ohne es zu zerreißen, entrollt und über ein Ei gewickelt. Auf der Suche nach einem Weg durch dieses übergroße Ei gab es keine guten Griffe, sondern nur Abschnitte mit einem flacheren Winkel. Die Fußarbeit würde entscheidend sein. Da ich aber nicht sehen konnte, wo die Vertiefungen und Unebenheiten waren, um meine Füße zu positionieren, wurde es verdammt schwer. Ich dachte an die Ausflüge in meiner Kindheit nach Fontainebleau zurück und erinnerte mich an die oft blank polierten Platten, durch die ich meine Fußarbeit perfektioniert hatte. Außerdem hatte ich gelernt, mich auf das Gefühl in meinen Zehen zu verlassen, um herauszufinden, was halten würde und was nicht. 

Vorsichtig tastete ich mit meinen Händen herum, so gut es mein Gleichgewicht zuließ. Ich fand mehrere Stellen im Fels, die weniger steil waren, und begann zu überlegen, wie ich meine Füße dorthin bewegen konnte. Langsam und zaghaft tastete ich mich nach oben. Immer höher und höher, immer auf der Suche nach dem zweiten Haken, von dem ich wusste, dass er da war, den aber weder Molly noch ich sehen konnten. Ich hatte ihn immer noch nicht gefunden. Noch ein Zug. Ich hatte Angst, denn diese Züge waren schwierig für einen Blinden. Ich wusste, dass ich jetzt weit über meiner letzten Sicherung war. Der nächste Zug wurde noch schwieriger. Ich fand einen sehr hochgelegenen Absatz, zu dem ich mich bewegen konnte. Es wäre einfacher gewesen, wenn ich einen Zwischentritt hätte finden können. Wahrscheinlich gab es einen Zwischentritt, aber ich konnte ihn nicht ausmachen. Ich hatte Angst zu stürzen, da ich weit oberhalb des letzten Hakens stand. Ich wollte keinesfalls wegrutschen, da ich mir dabei leicht etwas hätte brechen können. 

Ich war unentschlossen und kämpfte in Gedanken zwischen Motivation und Selbsterhaltung. Das war verrückt und geriet langsam außer Kontrolle. Ich fing an, zurück zu klettern. Ich bewegte mich auf der Felsplatte wieder nach unten, ohne mich daran zu erinnern, wo meine Füße vorher gestanden hatten. Ich fluchte vor mich hin, als ich auf dem Weg nach unten an dem zweiten Bohrhaken vorbeikomme. Ich hatte ihn gefunden! Ich war versehentlich an ihm vorbeigeklettert und hatte ihn trotz meiner Bemühungen nicht entdeckt. Kein Wunder, dass ich mich ausgelaugt und ungeschützt fühlte. Ich war erleichtert, als ich das Klicken des Karabiners hörte. Jetzt gab es keine Ausreden mehr. Ich musste wieder hinauf. Ich zog wieder hoch zu dem Absatz. Der Zug war jetzt zwar nicht einfacher, da ich immer noch keine Tritte gefunden habe, aber wenigstens musste ich keine Angst haben, mir die Knöchel zu brechen, wenn ich es vermasseln würde. Die Sonne war mittlerweile aufgegangen, es war heiß und es gab hier oben in der Nähe der Spitze dieses verfluchten Eies keinen Schatten. Meine Hände waren schweißnass, ich versuchte zu chalken, aber ohne Erfolg.

"Auf jetzt", schreit mein Inneres. Ich wage den nächsten Zug. Meine klatschnassen Hände rutschen am Felsen ab, und ich male mir die Schweißspuren aus, die sie hinterlassen, 2 Schlieren von mindestens einem Meter Länge. "Das war's", denke ich, „Ich rutsche ab, immer schneller". Doch zu meinem Erstaunen bleibt mein linker Fuß auf einem hervorstehenden Vorsprung stehen. Ich stelle mir die Kontaktfläche zwischen dem Gummi meines Schuhs und dem Felsen vor, sie muss winzig sein. Gott sei Dank gibt es Gummi, das ist das Einzige, was mich in diesem Moment aufrecht hält. „Stell Dich aufrecht hin", schreit es aus mir heraus, und mit einer Tirade innerer Schimpfwörter ist klar, dass ich hier raus will. Ich richte mich auf, zum Glück lässt die Neigung nach, und ich erreiche die Spitze des Eies. Puh, es ist geschafft. Na ja, fast, denn natürlich kann ich den Standplatz nicht finden. Ich weiß, dass es hier oben irgendwo einen gibt, er ist auf dem Topo eingezeichnet. Aber trotz eifrigem Herumkrabbelns am Gipfel kann ich ihn nicht finden. Ich will mich nicht zu weit vorwagen und von der anderen Seite dieses verdammten Eies herunterfallen. Schließlich baue ich einen Standplatz sichere mich. Tatsächlich sitze ich nur weniger als 2 m von den Bohrhaken entfernt... Es wäre so viel einfacher, wenn ich ihn sehen könnte. Während des Kletterns hat mir die Route nicht besonders viel Spaß gemacht, aber im Nachhinein gibt es für mich ein paar positive Aspekte. Ich habe meine Lieblingskletterhose nicht beschmutzt! Und ich war mental stark genug, um zur Schlüsselstelle zurückzukehren, sobald ich eingehängt hatte.

Die Überschreitung des Rubikons

Unsere Tage in der Wüste waren gezählt, die Zeit lief uns davon. Mit einigem Zögern entschied ich mich, den Rubicon in Angriff zu nehmen. Die Route folgt einer beeindruckenden Z-förmigen Reihe von Rissen seitlich an einem riesigen, freistehenden Felsblock, der in einem Meer aus Sand liegt. Die Route ist mit 5.10c/d eingestuft und liegt damit genau am oberen Ende der Skala meines Könnens - daher die Nervosität. Als wir zwischen den Sträuchern am Einstieg standen, beschrieb mir Molly den Rissverlauf. Die Route beginnt mit einem senkrechten Handriss, dann folgt eine 15 m lange Querung nach links, von der aus man einen schmalen Fingerriss erreicht, der fast senkrecht nach oben verläuft, bevor er in einem Bogen nach rechts zur Spitze des Boulders führt.

Wir verwendeten Doppelseile und besprachen, die Handhabung um den Seilwiderstand so gering wie möglich zu halten, während ich meine Schuhe anzog und den Klettergurt anlegte. Der erste Riss und die Querung entlang des Bandes waren einfacher als erwartet. Ich hatte befürchtet, dass die Querung keine Tritte haben und eine heikle Angelegenheit werden würde, aber der Knackpunkt kam erst noch. Ich erreichte den Anfang des schmalen Risses und hielt inne. Das war der Rubikon, und wenn ich erst einmal begonnen hatte, konnte ich nicht mehr umkehren. Es war ganz einfach: Entweder du schaffst es bis zum Gipfel oder du kannst abstürzen, ein Rückzug war nicht möglich.

Ich lächelte über den treffenden Namen der Route, der sich auf Cäsar bezieht. Wie der römische Feldherr vor über zwei Jahrtausenden war ich am dem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab. „Alea iacta est“, dachte ich, als ich meine Finger in den Riss verkeilte und mich hochzog. Es war anstrengend und ich wusste, dass ich es mir nicht leisten konnte, herumzualbern: "Weiter!", brüllte es in meinem Kopf, als ich mich den Riss hinauf arbeitete. Anfangs konnte ich meine Zehen in den Riss einklemmen, aber als er sich nach rechts wölbte, war ich gezwungen, an der blanken Wand auf Reibung zu gehen. Meine Finger tasteten den dünnen Riss ab und suchten nach breiteren Stellen, in denen ich mehr als die Hälfte meines ersten Klemmkeils versenken konnte. Der Riss war uneben und scharfkantig und es tat weh, als ich meine Finger gegen den unnachgiebigen und unerbittlichen Stein drückte.

Ich fühlte eine gewisse Unsicherheit und platzierte meinen letzten Klemmkeil. Der Klemmkeil war nicht ideal platziert, aber ich hoffte, er würde halten. In dem Bemühen, alle Tritte zu nutzen, ertastete ich einen kleinen Vorsprung, der auf der linken Seite aus dem Riss ragte. Er war klein, schräg und nicht optimal platziert, da ich mich nach rechts bewegte, aber er war der einzige wirkliche Halt. Die Alternative wäre gewesen, nur auf Reibung zu stehen. Ich schob meinen linken Fuß dorthin und drehte mich, um höher und nach rechts in den Riss zu gelangen. Mein Fuß rutschte ab und ich fiel wie ein Stein. Zu meiner großen Erleichterung hielt der Dragonfly. Ich möchte nicht wissen, wie weit ich gefallen wäre, wenn er nicht gehalten hätte. 

Ich brauchte einen Moment, um mich nach dem Sturz wieder zu sammeln.  Dann zog ich an und kletterte durch die Schlüsselstelle zum Gipfel. 

On-Sight-Klettern verzeiht so wenig. Der kleinste Fehler kann unwiederbringlich sein. Ich saß oben und hatte gemischte Gefühle im Kopf. Zuerst war ich enttäuscht über meinen Fehler, aber dann meldete sich langsam die Vernunft. Ich war zufrieden mit meiner körperlichen Leistung und meinen Fähigkeiten, die ich mit in den nächsten Wettkampf nehmen wollte. Mir kam der Gedanke, dass, wenn es eine Gewissheit gewesen wäre, dass ich den Rubicon sauber klettern würde, wäre die Erfahrung öde und hohl gewesen. Warum würfeln, wenn das Ergebnis schon feststeht? 

Meine Motivation zum Klettern ist vielfältig, aber ein großer Teil davon ist das, was ich über mich selbst lerne und wie ich mit Herausforderungen und Unsicherheiten umgehe. Seien wir ehrlich, ich klettere nicht nur an diesen tollen Orten, um die Aussicht zu genießen, auch wenn sie unglaublich ist.

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