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Athleten Q&A: Jessie Leong über das Überwinden von Vorurteilen in den Alpen

Anlässlich des diesjährigen Internationalen Frauentags mit dem Motto #BreakTheBias haben wir uns mit der Montane-Athletin Jessie Leong getroffen, um über ihr Projekt „Als Frau in den Alpen“ zu sprechen.

Im Jahr 2021 nahm die Montane-Athletin Jessie Leong am "Women Rise Up Meet" des Alpenvereins teil. Das Projekt fiel mit dem 150. Jahrestag der Erstbesteigung des Matterhorns durch die britische Bergsteigerin Lucy Walker im Jahr 1871 zusammen. In diesem Rahmen wurden Bergsteigerinnen aus ganz Großbritannien, Belgien, Polen, Deutschland und den USA zusammengebracht. Ziel war es, gleichberechtigt zu klettern und eine Reihe von technischen 4000er-Gipfeln zu besteigen, die Lucy Walker als Erste in den Alpen bestiegen hat.

In diesem Interview erfährst du, was Jessie zur Teilnahme bewogen hat und was sie aus dieser Erfahrung gelernt hat...

Was hat dich dazu veranlasst, am "Women Rise Up Meet" des Alpenvereins teilzunehmen?

Ich hatte die Gelegenheit an einem Treffen in den Alpen teilzunehmen und war scharf darauf, andere Bergsteigerinnen kennenzulernen, die gerne gemeinsam mit anderen Frauen alpin klettern wollten. Ich wollte Kontakte knüpfen und Gleichgesinnte finden, mit denen man Brotzeit zusammen macht. Das fand ich verlockend. Ich erwartete eine Gemeinschaft von Frauen, die sich gerne in einer steilen Felswand aufhalten und sich auch wohlfühlen. Es ging auch darum, Teil von etwas Größerem zu sein: die gemeinsame Vorstellung davon, wie es gewesen sein muss, in die Fußstapfen der britischen Kletterin Lucy Walker zu treten. Das Treffen wird bestimmt eine größere Anzahl von Kletterinnen dazu ermutigen, in ihre Fußstapfen zu treten.

Das Treffen steckt zwar noch in den Kinderschuhen, hat aber das Potenzial, als starker Katalysator zu wirken, damit es mehr regelmäßige Treffen für Frauen in den Alpen gibt. Es rückt diese Erstbesteigerinnen ins Blickfeld und beeinflusst damit zukünftige Generationen von Bergsteigerinnen. Außerdem hoffe ich, dass es in einer sich schnell verändernden Umwelt, die von den Auswirkungen des Klimawandels bedroht ist, Möglichkeiten gibt, wie wir weiterhin Touren unternehmen können, ohne die Umwelt massiv zu schädigen. Auf diese Weise können wir auch in den nächsten fünfzig Jahren noch die Leistungen von Lucy Walker und Meta Brevoort feiern.

 

 

Hast du so etwas schon einmal gemacht?

Bevor ich am "Women Rise up Meet" teilnahm, war ich mehrmals in Chamonix in den französischen Alpen, nachdem ich vom Jonathan Conville Memorial Trust gesponsert wurde, um an einem Kurs für alpine Techniken teilzunehmen.

Um meine Erfahrungen zu vertiefen, kehrte ich mit meinen Kletterpartnern zurück, um klassische Bergsteigerrouten bis zu AD+ in einer Höhe von etwa 3.600 m zu begehen.  Zu den wichtigsten Routen gehörten die Felslinie der Petite Aiguille Verte, die Arête de la Table auf der Aiguille du Tour, die Besteigung des Point Lachenal und die Cosmiques Arete. Im Gegensatz zu diesem Trip verzichteten wir auf Hüttenaufenthalte und machten eine viel "rauhere" Erfahrung, indem wir biwakierten!

In einer alpinen Umgebung sind die Beziehungen zwischen Kletterpartner extrem wichtig. Ich habe viele meiner Klettertouren in kleineren Gruppen unternommen - hauptsächlich mit meinen Wanderfreunden, manchmal auch zu dritt, wo wir uns beim Führen immer abwechselten. Ich sammelte Erfahrungen beim Vorsteigen, indem ich am Pinnacle Club beitrat, einem Kletterverein für Frauen, der 2021 sein 100-jähriges Bestehen feierte.

Ich wollte unbedingt an einem Treffen teilnehmen, bei dem es darum geht, andere Kletterpartnerinnen zu finden, um gemeinsam Entscheidungen zu treffen, sich gegenseitig zu motivieren und die Route zu beurteilen. Bei reinen Frauenveranstaltungen werden keine geschlechtsspezifischen Fähigkeiten oder Erfahrungen vorausgesetzt. Die Ausdauer und die allgemeine Begeisterung und Zielstrebigkeit beim Klettern mit anderen Frauen haben mir viele erfolgreiche Klettertage beschert.

Oft habe ich Klettermomente mit anderen Kletterinnen genossen, die mir ebenbürtig waren. Manchmal sind sie von der Technik her erfahrener, aber es geht auch darum, das Ziel des Kletterns nicht vom Ego bestimmen zu lassen. Diese Momente haben mir unschätzbare Erfahrungen und Möglichkeiten gegeben, mich als Kletterin und Bergsteigerin weiterzuentwickeln.

Die Pionierin und Alpinistin Lucy Walker spielte eine große Rolle beim Women Rise Up Meet. Kannst du uns mehr über sie erzählen?

Das Jahr 1865 wird oft als das "goldene Zeitalter des Bergsteigens" bezeichnet - doch wenn wir an den Alpinismus denken, fallen uns eher die Namen von Whymper, Willis und Lord Francis Douglas ein als Lucy Walker und Meta Brevoort. Walker, eine 1836 geborene britische Bergsteigerin aus Liverpool, war eine der bedeutendsten Bergsteigerinnen des 19. Jahrhunderts. Kein Geringerer als Edward Whymper selbst bemerkte, dass "kein Kandidat für die Wahl in den Alpenverein ... jemals eine Liste von Qualifikationen vorgelegt hat, die der von Miss Walker auch nur annähernd entspricht".

Hätte Lucy Walker ein Tourenbuch des UKC, wäre sie mit ihrem beeindruckenden Lebenslauf die Bergsteigerin des Jahrzehnts gewesen - sie war die Erstbesteigerin von 16 Bergen, darunter der Eiger, und nahm an fast 100 Expeditionen teil. 1871 versuchten sie und Brevoort, als erste Frau den Gipfel des Matterhorns zu besteigen. Walker gelang dies am 21. Juli desselben Jahres, doch Brevoort hatte eine nicht minder beeindruckende Saison: Sie bestieg als erste Frau das Weisshorn, das Bietschhorn und die Dent Blanche und vollendete als erste Frau die Matterhornüberquerung.

Nachdem ich zum goldenen Zeitalter des Kletterns viele Geschichten über Männer gelesen habe, war es unglaublich erfrischend, die Geschichte von Lucy zu hören. Mit einer Höhe von 4.478 m ist das Matterhorn ein wahres Fotomotiv - ein Gipfel von großer Bedeutung für die Region, der bisher nur von Männern bestiegen wurde. Bis heute ist sie für viele Bergsteigerinnen und Bergsteiger ein großes Vorbild, sowohl für Männer als auch für Frauen. Sie war mit Sicherheit eine Wegbereiterin, die geschlechtsspezifische Vorurteile durchbrach!

Etwas, das mich persönlich sehr berührt hat, ist ein berühmtes Zitat des Satiremagazins "Punch". Darin heißt es: "Kein Gipfel ragt über sie hinaus" und betont Walkers Status als bedeutendste Bergsteigerin ihrer Zeit, anstatt sich auf die vermeintliche Anomalie zu konzentrieren, dass sie nicht den strengen viktorianischen Idealen entsprach, die die Gesellschaft von Frauen erwartete. Wenn wir uns vor Augen führen, dass es damals keine schnellen Transportmittel, keine Kommunikationsmittel und keine zuverlässigen Wetterberichte gab und dass sie in engen, schweren Röcken klettern mussten, werden ihre Leistungen im "Goldenen Zeitalter des Bergsteigens" noch beeindruckender.

"Kein Gletscher kann sie verwirren, kein Abgrund sie aufhalten,
Kein Gipfel überragt sie, egal wie erhaben er ist,
Ein dreifaches Hurra auf die unerschrockene Miss Walker
Ich sage euch, Jungs, sie weiß, wie man klettert!

A Lady has Climb to the Matterhorns' Summit, aus Punch Magazine, 26. Juli 1871


Hattest du eine Lieblingstour und warum?

Bevor ich aufbrach, ahnte ich schon, dass ich in Lucy Walkers Fußstapfen treten und das Matterhorn besteigen wollte. Das Treffen fand Ende August/Anfang September statt, wodurch auch unsere Möglichkeiten begrenzt waren, da für das Matterhorn besondere Bedingungen herrschen müssen, um sein Steinschlagrisiko zu reduzieren. Aufgrund der Auswirkungen der globalen Erwärmung wollten wir außerdem eine Route klettern, die keinen Permafrost mehr hatte, wie zu Lucy Walkers Zeiten. Diese Route war viel anfälliger für Steinschlag, losen Schnee und Eis, was sie noch gefährlicher machte.

Nach Rücksprache mit mehreren Bergsteigern des Alpenvereins, die alle das Matterhorn unabhängig voneinander bestiegen haben, rieten sie mir von dieser Route ab. Der Grund dafür war die komplizierte Routenfindung in Kombination mit der schwierigen Logistik. Die Hornli-Hütte gab denjenigen, die mit Unterstützung von Zermatter Bergführern klettern wollten, Vorrang vor denjenigen, die ohne Bergführer als Gleichberechtigte aufstiegen. Zudem ist die Route für ihren hohen Anteil an Choss (Fels, der zum Klettern ungeeignet ist!) bekannt.

Die Besteigung des Zinalrothorns, ein 4221 m hoher Gipfel, hat mir viel mehr Spaß gemacht - und war gleichzeitig ein ziemlich anspruchsvolles Ziel. Wir waren als Dreierseilschaft unterwegs. Er wurde am 26. Juli 1873 von Lucy Walker erstmals bestiegen, also fast 150 Jahre nach der Erstbesteigung durch eine Frau. Da es keine mechanische Aufstiegshilfe gab, startete man vom Talboden in Zermatt aus auf 1600 m und stieg auf die Rothornhutte SAC auf knapp 3200 m. Vom Campingplatz in Randa aus war es schwer, die Länge der Tour zu beurteilen, da das Tal von so vielen Berggipfeln umgeben war. Laut Richard Goedeckes "4000er der Alpen" ist das ein vernünftiger 4000er, wenn er ohne Gondeln und Lifte bestiegen wird.  Er liegt knapp hinter dem Dom mit 4545 m und dem Weißhorn mit 4505 m.

Wir haben auch den Pollux (4092 m) bestiegen, der am 3. September 1874 von zwei Frauen (Anna und Ellen Pigeon) zum ersten Mal bezwungen wurde, sowie das Breithorn (4164 m), das 1865 von Lucy Walker begangen wurde. Diese Gipfel wurden jedoch durch die Seilbahn von Zermatt zum Kleinen Matterhorn, die dich durch atemberaubendes (und vor allem lebensfeindliches) Gletschergelände führt, etwas entschärft.

Hast du einen Tipp für Frauen, die in den Alpen klettern wollen?

Mein Rat für Frauen, die in den Alpen klettern wollen, ist, offen für den Austausch mit deinem Kletterpartner zu sein. Bist du schon einmal mit ihm geklettert? Und wenn ja, welche Ziele habt ihr beide? Es war wichtig, die Stärken und Schwächen zu besprechen, damit meine Kletterpartnerin und ich das Gefühl hatten, dass wir uns gut ergänzen - meine Mehrseillängenkletterei auf steilem Granit kam mir vom Klettern auf Arran und in Cornwall zugute, während meine Partnerin (die in der Schweiz lebte) viel mehr Höhenmeter hatte und sich schnell bewegte.

Die Unterstützung von Montane hat auch dazu beigetragen, dass meine Ausrüstung multifunktional ist. Zu den wichtigsten Dingen, auf die ich Wert lege, gehört eine superleichte, robuste Ausrüstung wie der High Altitude 20L Rucksack, der es mir ermöglicht, Seile außen zu verstauen und platzsparend zu packen. Außerdem habe ich langärmelige, atmungsaktive Oberteile wie das Blade Long Sleeve Top eingepackt, das vor hoher UV-Strahlung schützt. Ich hatte auch die Montane Resolute Down Jacket dabei, die ich sehr gut gebrauchen konnte, wenn die Temperaturen in 4000 m Höhe fielen und ich eine weitere wärmende Schicht brauchte.

Das diesjährige Motto des Internationalen Frauentags lautet #BreakTheBias. Was denkst du, wie wir das gemeinsam umsetzen können?

Wir können uns offener, ehrlicher und, wenn nötig, verletzlicher zeigen, wenn es darum geht, was beim Bergsport für uns okay ist und was nicht. Beim Alpinklettern gibt es oft viele "Gedankenspiele", die uns beschäftigen, die wir aber nicht unbedingt aussprechen. Alpinklettern ist risikoreich und teuer (in Bezug auf Freizeit, Lebenshaltungskosten und Transportkosten) und das kann zusätzliche Stressfaktoren mit sich bringen, wie z.B. die Kosten für Lifte und Hütten, die die Wahl der Route beeinflussen können, die du gehst.

Ein ehrliches Gespräch über eure Budgets kann wirklich helfen. Dazu gehört auch, dass ihr herausfindet, bei welchen Punkten der Expedition ihr bereit seid, Kompromisse einzugehen. Zum Beispiel: im Tal zelten, Nudeln zum Abendessen essen und sparsam unterwegs zu sein, um sich Hüttenübernachtungen leisten zu können.

Beim Klettern mit Frauen habe ich auch gelernt, Ruhetage einzuplanen - auf "Hochleistungstouren" habe ich eine Reihe von Aktivitäten genossen, vom Sportklettern in moderaten Schwierigkeitsgraden bis hin zum Schwimmen in Gletscherseen (ein Weg, meinem Geist zu sagen, dass er still sein soll). Ich weiß, dass ich persönlich sehr unempfänglich dafür bin, mich auszuruhen - aber ich lerne, es in Ordnung zu finden, wenn ich nicht alle Tage hintereinander etwas unternehme, um mich in der Höhe zu verausgaben.